Mister Nam –
Wenn Einfachheit gewinnt

Die meisten Restaurants behandeln ihre Speisekarten wie ein Experiment in visueller Anarchie. Comic Sans trifft auf Times New Roman, während Tippfehler fröhlich durch die Abstände tanzen und derselbe Gang drei verschiedene Namen trägt. Mister Nam wollte eigentlich nur eines: dass seine Gäste bestellen können, ohne dass er dabei verzweifelt.

Das Problem lag nicht am Design. Es lag an der Sprache.

Wenn gut gemeinte Systeme scheitern

Mein erster Ansatz war ein modulares »Build-your-Bowl«-System; die Art von Lösung, die in Präsentationen immer überzeugend wirkt. Gäste konnten ihre Gerichte selbst zusammenstellen: »Gebratener Reis mit süß-saurer Soße, frischem Gemüse und Ente, bitte.« Die Idee funktionierte. Die Gäste waren begeistert, der Umsatz stieg.

Mister Nam? Weniger begeistert.

Diese verschachtelten deutschen Sätze zu entschlüsseln und dann fehlerfrei an die Küche weiterzugeben – das war für ihn wie simultanes Übersetzen bei einem Poetry-Slam. Jede Bestellung wurde zum kleinen Drama.

»Ich brauche Zahlen in der Speisekarte«, sagte er eines Tages.

Zunächst dachte ich: Zahlen? Och nö. Erst nach mehreren Gesprächen verstand ich die Tragweite seines Wunsches. Zahlen sind universell. »Nummer 8« kann er leichter verstehen, egal ob der Mensch aus München, Manchester oder Mumbai kommt. Aber sie bedeuteten auch: weniger Kombinationsmöglichkeiten, weniger Umsatz.

Ich hatte ein System entwickelt, das theoretisch funktionierte, aber einen entscheidenden Nutzer übersehen: den Menschen, der es täglich leben muss: Mister Nam.

Neustart mit doppelter Herausforderung

Die Überarbeitung wurde zur Extremsportart der Informationsarchitektur. Das Baukastensystem musste weg. Dazu kam eine neue Anforderung: zweisprachige Menüs für die – wie sich herausstellte – vielen internationalen Gäste. Doppelter Text auf derselben Fläche – typografisches Tetris.

Die Aufgabe: Klarheit bei maximaler Informationsdichte. Jedes Wort musste sich seinen Platz verdienen.

Das Ergebnis ist pragmatisch: Die Gäste bestellen jetzt mit einem bekannten System – »Die Acht, bitte« – wie sie es aus anderen (asiatischen) Restaurants kennen.

Für Mister Nam ändert sich alles: Statt komplexer deutscher Konstruktionen hört er eine simple Zahl und versteht sofort.

Ein goldenes Meer aus Nudeln

Parallel zur Speisekarte entstand eine komplette visuelle Identität. Das zentrale Motiv: ein »goldenes Meer aus Nudeln«, inspiriert von Mister Nams Spezialität.

Die Farbwahl folgte kultureller Symbolik: Gold-gelb vermittelt Wärme und steht in der asiatischen Kultur für Wohlstand.

Der Kreis als Grundform durchzog das gesamte System: von den kategoriespezifischen Icons bis zum Brand Pattern, das auf Kleidung, Tapeten, Tischsets und Servietten funktioniert.

Was nach Jahren bleibt

Jahre später arbeiten wir immer noch zusammen. Das Restaurant ist gewachsen, das System auch. Dieses Jahr kommen digitale Displays – nicht weil Technik hip ist, sondern weil sie dem ursprünglichen Ziel dienen.

Die wichtigste Erkenntnis? Manchmal ist das wirksamste Design nicht das ausgefeilteste, sondern das, was im Alltag funktioniert. Design als Brücke zwischen Kulturen, Sprachen und Arbeitsweisen. Als praktische Lösung für echte Menschen mit echten Bedürfnissen.

Mister Nam hatte recht: »Nummer 8« kann wichtiger sein als das durchdachteste Konzept.

Zurück
Zurück

I Hate Monday

Weiter
Weiter

Adata Technology